Wellness. Rausgeschmissenes Geld? Mh.

Für mich ist Wellness rausgeschmissenes Geld. Wenn ich dafür zahlen muss, dass ich zur Ruhe komme, dann kann ich mich eigentlich direkt einliefern lassen. Oder gleich erschießen. Either works. Von vorne. Meine erste "Wellness"-Erfahrung lief in etwa so ab: Ich war in einer Beziehung, die schon etwas brüchig geworden war, und da lag es nahe, sich doch mal eine schöne Auszeit zu zweit zu gönnen. 

Abzuschalten. Auszuspannen. Szenenwechsel. Und was bietet sich da besser an als ein völlig überteuertes, mit IKEA-Möbeln vollgestelltes, Art-Deco-drapiertes Hotelzimmer? Eben. Also haben wir in der Hoffnung, unserer Beziehung neuen Schwung zu geben, über eine windige Booking-Seite unser Wellness-Erlebnis gebucht. Wo? Natürlich nicht allzu weit weg, weil das würde ja eine lange Anreise beinhalten und überhaupt. Angekommen gab es den obligatorischen Sekt als Welcome-Drink und einen kurzen Abriss, was wir denn im Hotel alles machen konnten, wenn wir bereit waren, überteuerte Preise zu löhnen, um uns massieren zu lassen. Aber - hier gehts nicht um eine Beziehung von vor 10 Jahren. 

Versteh mich nicht falsch, ich bin in einer Touristikerfamilie aufgewachsen. Ich hab nach meiner mittleren Reife die Ausbildung zum Reiseverkehrskaufmann gemacht, um dann im elterlichen Reisebüro und Busunternehmen, das seit nunmehr fast 80 Jahren existiert, zu helfen. Ich weiß, worauf es Kunden ankommt, und ich weiß auch, wo der Schuh drückt. Es sind diese versteckten Stolperfallen, Kosten, vom Personal kreierten Momente, die bei Hotelgästen und Reisenden ein pelziges Gefühl auf der Zunge hervorrufen. Dieses Gefühl von "ja, ich bin informiert" und "ja, ich weiß, dass 'Anwendungen' (ein eher schwieriges Wort aus meiner Sicht) etwas kosten" – aber ich bin hier, um anzukommen, Urlaub zu machen und zu entspannen. Ich will keine Verkaufsgespräche und ich will mich nicht ausgenommen fühlen.

Wellness bedeutet für mich Platz haben. Aus der gewohnten Umgebung ausbrechen, nicht ständig von irgendwelchen visuellen Cues getriggert werden. Spüren, dass mein Geist, meine Seele und mein Körper zur Ruhe kommt. Dazu brauche ich nicht zwingend eine Nine-to-Five-Physiotherapeutin, die am Tag 20 Hotelgäste durchknetet. Ich brauche vor allem Platz. Wenn man mit der Kamera Personen in Szenen framed, spricht man von Headroom. Das ist der Abstand zwischen Haaren und Bildoberkante. Je höher der Headroom, desto mehr suggeriert man, dass die Person denkt. Und das gleiche gilt auch für Räume. Je mehr Platz nach oben, desto mehr Platz zu denken, zu fühlen, sich selbst wahrzunehmen und zu spüren. Eben nicht zu spüren, dass man eingesperrt ist.

Und genau das ist, was viele Hotels nicht verstehen. Es geht natürlich um die Auslastung des Hotels, aber diese ist abhängig von dem Vibe, den ich für meine Hotelgäste bereitstelle. Kleine, dunkle, höhlenartige Zimmer, Fenster mit Sprossen, verdeckter Blick, viel Schnickschnack und Deko - all das hat nichts mit Ruhe zu tun. Was es braucht, sind offene Räume. Beruhigte Wände, klare und natürliche Oberflächen mit geringer Wärmeleitfähigkeit und vor allen Dingen Licht. Keine künstlichen LED-Streifen, keine blauen Tageslichtlampen, beruhigende Leuchten, die nicht blenden, sondern das wohlige Gefühl von Geborgenheit produzieren.

Jetzt kam ich also im Kronthaler an, und das erste, was ich beim Betreten meines Zimmers wahrnahm, war ein langer Gang, der zum Hauptraum meines Chalets führte. Nicht sonderlich breit, eher schmal. Was mich unweigerlich dazu zwang, nach oben zu sehen. Mit der Bewegung nach oben kam auch ein Wort aus mir - ein natürlich geflüstertes "Wow". Wenn du einen Raum betrittst und vom ersten Moment an das Gefühl hast, dass du hier loslassen kannst, dann hast du alles richtig gemacht. Dann weißt du, dass du richtig bist.

Ich mein, 130 Quadratmeter ist schon ne Nummer. Für nur schlafen. Für vielleicht mal auf der Couch sitzen. 357 Euro für die Nacht Halbpension aber auch. Und jetzt kommt die alles entscheidende Frage: Ist es das wert? Lohnt es sich, 714 Euro für zwei Nächte auszugeben, nur um ein bisschen entspannen zu können?

Man kann sich alles schön reden. Das Essen, die Cocktails, das Spa, die Landschaft, das Wetter, auch das Zimmer. Für das selbe Geld flieg ich im Dezember für vierzehn Tage ans Meer, all inclusive. Treffe Menschen aus der ganzen Welt, bekomme den ganzen Tag Programm und Animation, kann mich quasi kostenlos besaufen. Ja. Aber wieviel Zeit hast du, um dich mal wieder zu spüren? Wieviel Ruhe hast du, um mal deinen eigenen Herzschlag wieder zu hören? Wie sehr kommst du aus deinem Ego und zurück zu dir? Neben Billo-Dance-Music aus den Animationsteam-Boxen eher schwierig.

Wellness ist nicht, Anwendungen buchen und im Urlaub Terminstress zu haben. Wellness ist, sich in einer Umgebung aufhalten, die dich runterkommen lässt. Wellness ist endlich die Möglichkeit zu haben, auf Antworten zu hören, die du sonst unterdrückst. Das kann auch wehtun. Vor allem wenn du merkst, dass du zu lange in die falsche Richtung gelaufen bist. Diese Erkenntnisse massiert dir niemand raus. Kommen nicht, weil du Dehnübungen machst. Sie kommen, weil dein Kopf, dein Herz und dein Körper endlich Zeit haben, sich wieder zu synchronisieren. Und das, meine Damen und Herren, ist unbezahlbar. Also scheiß aufs Geld, das letzte Hemd hat keine Taschen.

 
 
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BURGER, IPA, NFL, MARRIOT?!